Letztes soziales Netz wird durchlöchert!

Gemeinsame Presseaussendung des Bündnis gegen Armut und Wohnungsnot in Tirol, des Sozialpolitischen Arbeitskreis Tirol (SPAK) sowie des Tiroler IntegrationsForum (TIF) zur Verschlechterung der Tiroler Mindestsicherung.

Vor drei Jahren ist die Tiroler Landesregierung unter anderem mit dem Bekenntnis im Regierungsprogramm angetreten, wonach „das Tiroler Mindestsicherungsgesetz […] eine zentrale Stütze der Sozialpolitik in Tirol“ bleibe. Verschlechterungen wurden ausgeschlossen. Vielmehr wurde die „Forderung an den Bund [gerichtet]: das Sozialhilfegrundsatzgesetz des Bundes soll an das Tiroler Mindestsicherungsgesetz angepasst werden“ (Regierungsprogramm für Tirol 2022 – 2027 vom 25.10.2022).

Ohne offensichtliche Notwendigkeit wird nun das letzte soziale Netz in Tirol mit den in der Regierungsklausur eingeschlagenen Pflöcken weiter durchlöchert. Weder die Höchstgerichte noch die Bundesregierung (derzeit auf längere Zeit ohnehin damit beschäftigt, die „Sozialhilfe“ über Bundesländer- und Parteigrenzen hinweg zu vereinheitlichen) verpflichten zu dieser Verschlechterung. Scheinbar, um „Neiddebatten“ zu vermeiden (Presseaussendung der Tiroler Landesregierung vom 10.09.2025), wird mit den Ankündigungen aber genau eine solche (re-)produziert.

Die Mindestsicherung war als letztes Netz, als Unterstützung für all jene konzipiert, die keine anderweitige Finanzierung des Lebensunterhaltes und der Wohnkosten bewerkstelligen können – also auch da, wo der erwerbsarbeitszentrierte Sozialstaat und die daraus resultierenden Versicherungsleistungen nicht ausreichen.

Soziale Ausgrenzung, die mit dem aktuellen Mindestsicherungsgesetz noch bekämpft werden soll, wird mit der angekündigten „Reform“ aktiv vorangetrieben: Subsidiär Schutzberechtigte und andere (Österreicher:innen nicht gleichzustellende) Drittstaatsangehörige werden von diesem Netz zur Gänze bzw. vorübergehend ausgeschlossen. Leistungen sollen künftig um 100% gekürzt werden können, wobei auch vor der Unterstützung der Wohnkosten nicht Halt gemacht werden soll.

Dieser Ausschluss insbesondere „Fremder“ und vermeintlicher „Nichtstuer“ bedient einmal mehr die Klaviatur der „Sozialschmarotzerdebatte“ – verkauft als soziale Gerechtigkeit und wider besseren Wissens:

  • Kein:e Niedriglohnverdiener:in verdient besser, nur wenn anderen noch weniger zum Leben bleibt bzw. die eigene Aufstockungsmöglichkeit durch Mindestsicherung reduziert wird.
  • 70 Prozent der Mindestsicherungsbeziehenden im Jahr 2024 hatten eigenes – zu niedriges – Einkommen, welches mit Mindestsicherung aufgestockt wurde (Presseausendung der Tiroler Landesregierung vom 10.09.2025).
  • „Der Großteil beansprucht diese [Mindestsicherung] nicht länger als drei Monate am Stück“ (Presseaussendung der Tiroler Landesregierung vom 10.09.2025)
  • 43 Prozent der Mindestsicherungsbeziehenden in Tirol im Jahr 2023 waren Kinder (Statistik Austria, Mindestsicherungs- und Sozialhilfestatistik).
  • Eine zukünftig treffsichere Abfederung der hohen Wohnkosten in Tirol durch eine an das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz angelehnte Wohnkostenpauschale erscheint unglaubwürdig – insbesondere unter Berücksichtigung der Säumigkeit der Tiroler Landesregierung die Wohnkostenverordnung (Obergrenze der Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfs in der Mindestsicherung nach Bezirken und Haushaltsgrößen) seit zwei Jahren anzupassen. Die Tendenz der Verschiebung der Unterstützung für Wohnkosten ins privatrechtliche (ohne Rechtsanspruch) wird wohl fortgeführt.
  • Arbeitsplätze oder Fachkräfte werden nicht dadurch geschaffen, indem die Sanktionsmöglichkeiten für Mindestsicherungsbeziehende auf 100% der Unterstützung ausgeweitet werden.

Die zurecht angekündigten Verbesserungen für Menschen mit Behinderung sowie Ausgleichszulagenbezieher:innen – die einzig positiven Aspekte der Novelle – legen letztlich nur Zeugnis darüber ab, dass die bisherig gewährte Leistungshöhe unzureichend war.

Das Bündnis gegen Armut und Wohnungsnot in Tirol, der Sozialpolitische Arbeitskreis Tirol und das Tiroler IntegrationsForum fordern die Tiroler Landesregierung dringend auf, von der Durchlöcherung des letzten Auffangnetzes Abstand zu nehmen, die bewährte Tiroler Mindestsicherung aufrecht zu halten, bestehende Lücken zu schließen und sich auf Bundesebene für die Orientierung am Tiroler Mindestsicherungsgesetz stark zu machen.

Für das Bündnis gegen Armut und Wohnungsnot in Tirol, den Sozialpolitischen Arbeitskreis Tirol, das Tiroler IntegrationsForum und die damit über 300 vertretenen Einrichtungen, Institutionen und Dachverbände aus den Bereichen Soziales, Arbeit, Gesundheit, Bildung, Integration, Religion etc.,

Josef Mooser (DOWAS, best@dowas.org, 0512 572343-44)
Dr.in Julia Schratz (lilawohnt, julia.schratz@lilawohnt.at, 0660 69 404 08)
Mag.a Somi Jochum (TIF, sogoomaa@gmail.com, 0664 859 7048)

Bündnis gegen Armut&Wohnungsnot in Tirol ∙ www.buendnis-tirol.at ∙ info@buendnis-tirol.at
Sozialpolitischer Arbeitskreis Tirol ∙ www.spak-tirol.at ∙ info@spak-tirol.at
Tiroler Integrationsforum ∙ www.integrationsforum.tirol ∙ tirolerintegrationsforum@gmail.com