Das TIF tüftelt am Namen

Eine kritische Diskussion des Integrationsbegriffes

Begriffe und Sprache sind wirkmächtige Bestandteile von Diskursen und beeinflussen, bzw. erzeugen sogar gesellschaftliche Wirklichkeit. Aus diesem Grund widmet sich das Tiroler IntegrationsForum 2022/2023 der Auseinandersetzung mit dem Integrationsbegriff, der im Kontext aktueller postmigrantischer Gesellschaftsverhältnisse kritisch diskutiert und überdacht werden muss. Postmigrantisch soll heißen, dass Zugehörigkeiten, nationale Identitäten, Partizipation und Chancengerechtigkeit vor dem Hintergrund zunehmender gesellschaftlicher Diversität neu ausgehandelt werden müssen. 

Ist unter diesen Voraussetzungen der Integrationsbegriff noch geeignet, um soziale Wirklichkeit abzubilden und um mit unterschiedlichen (Mehrfach‐)Zugehörigkeiten arbeiten zu können? Gibt es alternative Begriffe?

Die Diskussion dieser Fragen und der Prozess der Auseinandersetzung wird auf der Homepage des Tiroler IntegrationsForums sichtbar gemacht. Der folgende Text lässt sich als Zusammenfassung der Diskussion bei der Klausur des Tiroler IntegrationsForums im Juni 2022 verstehen.

In Wissenschaft und Praxis wird der Integrationsbegriff vielfach als undifferenziert und ungeeignet betrachtet, um der Realität und den Anforderungen der postmigrantischen Gesellschaft gerecht zu werden und eine Antwort auf die Frage des Zusammenlebens in Vielfalt geben zu können. Zu sehr ruft der Integrationsbegriff das Bild einer homogenen Aufnahmegesellschaft auf, in welche sich etwa Migrant:innen einseitig anpassen, “bestenfalls” assimilieren sollen. So wird Integration als Bringschuld der “defizitären Anderen” verstanden (vgl. Foroutan 2015). Diese einseitige Betrachtung führt dazu, dass immer wieder von gelungener oder nicht gelungener Integration gesprochen wird. Das impliziert, „dass eine genaue Vorstellung darüber existiert, was Integration tatsächlich bedeutet und wie gesellschaftliche Integration gemessen werden kann“ (Castro Varela, 2013, S.8). Diese Annahme ist problematisch. Nötige Integrationsleistungen wie strukturelle und institutionelle Öffnungen, die von der Dominanzgesellschaft erbracht werden müssten, geraten aus dem Blick. Fehlende Teilhabe und Einbindung in gesellschaftliche Strukturen werden somit auch als persönliches Defizit, als kulturell oder religiös bedingtes Problem oder Unwille thematisiert, anstelle strukturelle Barrieren und Ausgrenzungsmechanismen zu berücksichtigen (vgl. Foroutan 2015). 

Wie umgehen also mit einem aus der Zeit geratenen Begriff, der auf vielen (politischen) Ebenen sowie im gesellschaftlichen Diskurs bereits institutionalisiert und verfestigt ist und insbesondere von Einrichtungen im Migrationsbereich bisweilen strategisch bedient werden muss (z.B. in Förderanträgen)? Ihn durch Begriffe wie Inklusion, Teilhabe oder Partizipation zu ersetzen, blendet potentiell wichtige inhaltliche Dimensionen aus – und lässt die dem Konzept zugrunde liegenden, problematischen Strukturen unberührt: “Der Gewalttätigkeit des Integrations-Diskurses kann nicht durch die Wahl eines alternativen Begriffs entgegengewirkt werden. Weniger das Wort Integration ist problematisch, sondern die dem Diskurs zugrunde liegenden rassistischen Ausgrenzungen, die mit jeder unkritischen Rede von Integration reproduziert werden.” (Böcker, Goel, Heft (2010): 309-310 in Foroutan (2015)). 

Vielmehr, so die Politik- und Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan, müsste das Integrationsverständnis einen Paradigmenwechsel unterlaufen, vom Migrationskontext gelöst und auf alle Gesellschaftsmitglieder ausgeweitet werden: “Ziel der Politik wäre dann: die Integration in eine heterogene, postmigrantische Gesellschaft für alle Bürger zu ermöglichen, zu vereinfachen und chancengleich zu gestalten.” (Foroutan 2015) Integration würde somit zu der politischen Bringschuld, Zugangschancen zu begrenzten materiellen und immateriellen Ressourcen wie Bildung, Lebenssicherung, Einkommen und sozialer Anerkennung für alle Gesellschaftsmitglieder so weit zu gewährleisten, dass keine systematischen Ungleichheiten aufgrund des sozialen, religiösen, kulturellen oder nationalen Status entstehen. 

Die Frage, wie sich die dem Integrationsbegriff zugrundeliegenden Strukturen und Denkmuster verändern können, bleibt offen. Auch ob es gelingt, diese Strukturen zu ändern und den Begriff der Integration weiterhin zu verwenden oder ob es doch alternative Begriffe gibt, bleibt vorerst ungeklärt.  

Die kritische Auseinandersetzung mit dem Integrationsbegriff und die damit verbundenen etwaigen Veränderungen sind ein Prozess, der durch die TIF Klausur im Juni 2022 angestoßen wurde. Wir freuen uns über Feedback und auf die weitere, kritische Auseinandersetzung!

Quellen: 
Castro Varela, María do Mar (2013). Ist Integration nötig? – Lambertus Verlag 

Naika Foroutan (2015): Kurzdossier “Die Einheit der Verschiedenen: Integration in der postmigrantischen Gesellschaft”. Bundeszentrale für politische Bildung.

Integrationsenquete Tirol: Welche Begriffe verbinden Sie mit Integration?

Am 29. September 2022 fand auf Einladung von Stadt Innsbruck, Land Tirol, Haus der Begegnung und Tiroler IntegrationsForum die 12. Tiroler Integrationsenquete 2022 zum Thema „Leben in der Blase? Impulse für eine Gesprächskultur in Zeiten zunehmender Polarisierung“ statt. Im Rahmen der Veranstaltung hatten die Teilnehmer:innen aus verschiedensten Kontexten, von Beratungseinrichtungen, aus Wissenschaft und Aktivismus sowie Privatpersonen, die Möglichkeit, ihre Gedanken zum Thema Integration zu teilen. 

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